Obwohl er sichtlich in die Jahre gekommen ist und aufgrund großer baulicher Mängel seit geraumer Zeit nur noch eingeschränkt genutzt werden darf, ist der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark im Osten Berlins (Prenzlauer Berg) ein wichtiger Teil der deutsch-deutschen Sportgeschichte: Insbesondere in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts fanden hier große europäische Fußballnächte statt.
Die 30.000 Zuschauer beim Europapokal-Halbfinale zwischen dem DDR-Serienmeister BFC Dynamo und Dynamo Moskau im April 1972 und beim Länderspiel zwischen der DDR und Belgien vor fast genau 50 Jahren gelten bis heute als lokaler Rekord. Alle zehn DDR-Meistertitel der 80er feierte der BFC im „Großen Stadion“ des Jahn-Sporparks, auch drei DDR-Pokalsieger wurden hier gekürt.
Doch nicht nur dem Fußball – auch Hertha BSC und der 1. FC Union trugen hier nach der Wende Europapokalspiele aus – diente das 1952 eröffnete Stadion mit seinen 19.000 Sitzplätzen als Veranstaltungsstätte: Die Footballer von Berlin Thunder (NFL Europe) und Adler Berlin (GFL) trugen hier ihre Heimspiele aus, obendrein konnten die Berliner im FLJP bereits 18 Leichtathletik-Weltrekorde bewundern.
Und an dieser historischen Stätte durften Anfang der Woche mit Özdemir Gürsoy und Mustafa Baran Nacakgedigi nun auch zwei Spieler des A-Klassisten SC United Weinheim die Stiefel schnüren – und sogar jeweils ein Tor und einen Assist bejubeln. Freilich nicht im stillgelegten „Großen Stadion“, sondern auf dem Nebenplatz, der immerhin 2000 Zuschauern Platz bietet.
Torjäger Gürsoy und sein derzeitiger Trainer und Vereinsvorsitzender Nacakgedigi waren Mitglieder eines Auswahl-Teams des Bundesprogramms „Integration durch Sport“, das am Dienstagabend den FC Bundestag, das fußballerische Aushängeschild des deutschen Parlaments, mit 6:0 in die Schranken wies.
Wie der Gegner und der eigene Teamname bereits erkennen lassen, stand der sportliche Vergleich bei dem dreitägigen Trip in die Hauptstadt jedoch bei Weitem nicht im Vordergrund. Vielmehr ging es um den Austausch mit den Politikern und die Integrationsarbeit in den ausgewählten Vereinen.
„Wir hatten die große Ehre, für dieses Event ausgewählt zu werden – als einzige Vertreter aus ganz Baden. Wir durften ganz tolle Einblicke in die Arbeit der Bundestagsabgeordneten gewinnen, aber auch viele Menschen aus anderen Sportvereinen kennenlernen, die sich auf vielfältigste Weise für die Integration durch den Sport engagieren“, blickt United-Vorsitzender Nacakgedigi sichtlich stolz auf die Tage in Berlin zurück.
„Es hat sich wieder einmal auf eindrucksvolle Weise gezeigt, dass der Fußball eine verbindende Wirkung hat. Wir hatten eine bunt zusammengewürfelte Mannschaft, mit Spielerinnen und Spielern aus ganz Deutschland, haben nur einmal zusammen trainiert und uns trotzdem super verstanden. Auf und neben dem Platz.“
Der Weinheimer Verein, der seinen Mitgliedern neben Fußball auch Zumba, Pilates und E-Sports anbietet, hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2017 der Integrationsarbeit verschrieben, 2019 wurde er bereits von der DFB-Stiftung Egidius Braun und den Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördert. Seit geraumer Zeit ist der SC United zudem einer von 13 anerkannten Stützpunktvereinen des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ in Nordbaden.
Explizit macht der Verein Menschen mit Migrationshintergrund spezielle Angebote – sportliche mit niedriger Schwelle (etwa durch ermäßigte Teilnahmebeiträge) genauso, wie außersportliche (Bildung, Beratung). Er eröffnet ihnen zudem Möglichkeiten, sich an der Vereinsführung zu beteiligen.
Nun hatte der Deutsche Olympische Sportbund alle deutschen Stützpunktvereine aufgerufen, sich mit einem herausragenden Mitglied für die Teilnahme an dem Treffen mit den Parlamentariern zu bewerben. Die Wahl der Weinheimer fiel auf Gürsoy, der sich laut Nacakgedigi nicht nur auf dem Platz für die Werte des Vereins einsetze, sondern diese auch lebe.
„Als er dann tatsächlich unter all den Bewerbern ausgewählt wurde, wollte ich eigentlich nur zum Netzwerken mitfahren“, sagt der Vorsitzende, der vor zwei Wochen zum wiederholten Male auch wieder das Traineramt des A-Klassisten übernommen hat. „Als dann die Rückmeldung kam, dass auch ich dem Team angehören darf, haben wir uns beide natürlich riesig darüber gefreut“, so Nacakgedigi weiter.
Los ging es am frühen Montagmorgen – nur wenige Stunden nach Uniteds triumphalem 8:2-Sieg gegen den SC Blumenau. „Wir waren noch ziemlich geschafft“, sagt Nacakgedigi. Was folgte, war ein nicht minder anstrengender „persönlicher Berlin-Marathon“, der die beiden Weinheimer Fußballer nicht nur in den altehrwürdigen Jahn-Sportpark, sondern auch in den Bundestag und ins „Haus der Fußballkulturen“ unweit des Stadions führte, wo sich Vereinsvertreter und Abgeordnete austauschten.
„Was machen die anderen?“, sei dabei die meistgestellte Frage gewesen, so Nacakgedigi – sportartübergreifend. Es sei von traurigen Einzelschicksalen berichtet worden, von Abschiebungen trotz gelungener Integration, aber auch von gesellschaftlichen Erfolgen.
Und wie war es mit den Abgeordneten außerhalb des Platzes? „Super spannend“, sagt Nacakgedigi. „Wir konnten politische und gesellschaftliche Fragen stellen, man hat sich wirklich viel Zeit für uns genommen.“ Besonders hervor hebt er den Austausch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Dirk Wiese in der „dritten Halbzeit“.
Der Keeper des FC Bundestag hatte es dem Weinheimer Duo offensichtlich nicht übel genommen, dass sie ihm kurz zuvor noch zwei „Buden“ ins Tor gesetzt hatten. Auch der Kapitän der Parlaments-Auswahl, Mahmut Özdemir (SPD), seines Zeichens Parlamentarischer Staatssekretär des Innern und für Heimat, habe großes Interesse an der Arbeit des SC United gezeigt, betont der Funktionär.
„Das gibt uns die Motivation, unseren Weg weiterzugehen. Vieles machen wir offenbar schon ganz ordentlich“, bilanziert Nacakgedigi. Die Reisestrapazen haben er und Özdemir Gürsoy für diese Erkenntnis dann auch sehr gerne in Kauf genommen.
Quelle: WNOZ